Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention für junge Menschen auf der Straße

Mangelnde Gesundheitsförderung, fehlende Schwangerschaftsprävention, verheerende Zahnhygiene oder geringster Infektionsschutz sind „auf der Straße“ gravierende Risiken, die die Zukunftsaussichten junger Obdachloser erheblich belasten. Die von Ärzten und medizinischen Fachreferenten geschulten Streetworker der Off Road Kids Stiftung binden zahlreiche wichtige Gesundheitsthemen in die Beratungsgespräche mit obdachlosen jungen Menschen ein, geben Präventionsmaterialen aus und vermitteln bei Bedarf medizinische Hilfe. STREETWORK+ ist ein gemeinsames Präventionsprogramm von BAHN-BKK, EY BKK, PwC BKK, R+V BKK, Salus BKK der  und der Off Road Kids Stiftung im Rahmen des Präventionsgesetzes.

Die Aufklärung über gesundheitlichen Risiken und der Schutz vor ungewollten Schwangerschaften ist jedoch essentiell notwendig, um mit jungen obdachlosen Menschen überhaupt in die Zukunftsplanung einsteigen zu können. Die Streetworker der Off Road Kids Stiftung in Berlin, Dortmund, Frankfurt, Hamburg und Köln sowie bei sofahopper.de und unserem weiterführenden Angebot PREJOB werden kontinuierlich zu den medizinischen Sachverhalten und der didaktischen Wissensvermittlung geschult. Die Präventionsthemen fließen direkt in die individuellen Beratungsgespräche mit den einzelnen betreuten jungen Menschen ein.

Im Rahmen von STREETWORK+ werden folgende Schwerpunktthemen je nach individuellem Bedarf vermittelt:

  • Psychische Gesundheit: Betroffene werden zu Fragen rund um psychische Gesundheit und Erkrankungen auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand aufgeklärt, beraten und bei Bedarf in professionelle Hilfe- und Unterstützungssysteme vermittelt oder zu Beratungs- und Therapieangeboten begleitet.
  • Sucht: Betroffene werden zu Fragen rund um Suchterkrankungen auf dem aktuellen Stand der Suchtprävention aufgeklärt und bei Bedarf in professionelle Beratungs- und Therapiesysteme vermittelt bzw. zu Beratungs- und Therapieangeboten begleitet.
  • Ungewollte Schwangerschaft: Die jungen Menschen werden zu Fragen der Empfängnisverhütung und Schwangerschaft auf dem aktuellen Stand der Sexualmedizin und -pädagogik aufgeklärt. Junge Frauen werden bei Bedarf zu gynäkologischen Schwerpunktpraxen begleitet.
  • Sexuell übertragbare Infektionen: Die jungen Menschen werden zu Fragen der Prävention von sexuell übertragbaren Infektionen auf dem aktuellen Stand der Sexualmedizin und -pädagogik aufgeklärt und bei Bedarf zu (Fach-)Ärzten oder gynäkologischen Schwerpunktpraxen begleitet.
  • Hautinfektionen und -erkrankungen: Den jungen Menschen werden Relevanz und Handlungskompetenzen in Hinblick auf Haut- und Wundhygiene sowie anderer Infektionsgefahren vermittelt.
  • Zahn- und Mundhygiene: Den jungen Menschen werden Relevanz und Handlungskompetenzen bzgl. Zahn- und Mundhygiene vermittelt. Bei Bedarf werden Zahnbürsten und Zahnpasta ausgegeben. Bei akuten Zahnerkrankungen können die jungen Menschen zu Zahnärzten vermittelt und begleitet werden.
  • Impfungen: Die jungen Menschen werden zu aktuell akuten und milieurelevanten Impfungen sowie zur Covid-19-Impfung auf dem Stand der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse aufgeklärt und zur Inanspruchnahme von Impfleistungen motiviert.
  • Medizinische Regelversorgung: Die jungen Menschen werden zur Inanspruchnahme der medizinischen Regelversorgung und/oder mobiler medizinischer Dienste motiviert und erhält Hilfestellung bei Bedarf.

Hintergrund

In Studien zu Obdachlosigkeit und Gesundheit finden junge Menschen kaum Berücksichtigung. Dennoch existieren sie – mit all ihren besonderen und altersspezifischen Problemlagen, Bedürfnissen und Ressourcen. Ihre prekäre Lebenswirklichkeit ist von zahlreichen physischen, psychischen und sozialen Belastungen und Einschränkungen geprägt. Programme zur Prävention und Gesundheitsförderung können dabei helfen, Gesundheitskompetenzen dieser Zielgruppe aufzubauen und Gesundheitsrisiken zu minimieren.

Gesundheitsrisiken und -ressourcen im Straßenmilieu

Aufgrund ihrer besonderen sozialen Lage gelten junge Obdachlose als vulnerable Personengruppe. So weisen sie häufig ein riskanteres Gesundheitsverhalten auf und verfügen über weniger Gesundheitsressourcen als gleichaltrige Personen mit einem höheren sozioökonomischen Status. Im Lebensraum „Straße“ sind sie zudem vielfältigen milieuspezifischen Gesundheitsbelastungen ausgesetzt: Mangelernährung, defizitäre hygienische Verhältnisse oder häufiger Suchtmittelmissbrauch steigern das Infektionsrisiko für Atemwegs-, Magen-Darm-, Zahn- und Hauterkrankungen. Darüber hinaus haben Straßenjugendliche ein hohes Risiko, sich mit sexuell übertragbaren Erkrankungen wie HIV, HPV oder Hepatitis zu infizieren – beispielsweise durch ungeschützten Sexualkontakt oder Prostitution. Insbesondere junge, wohnungslose Frauen sind gefährdet, Opfer von sexueller Ausbeutung zu werden. Mangelnde Verhütungsmöglichkeiten oder -kompetenzen erhöhen hier die Wahrscheinlichkeit, ungewollt schwanger zu werden. Hinzu kommt, dass viele junge Obdach- oder Wohnungslose psychisch vorbelastet sind, etwa durch posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen, eine Borderline-Störung, Psychosen oder andere psychische Erkrankungen.

Häufigkeit einzelner Gesprächsthemen 2020

Gefahr der Chronifizierung

Zugleich haben junge Menschen ohne festen Wohnsitz einen erschwerten Zugang zu Strukturen der Gesundheitsversorgung. Grundsätzlich stehen wohnungs- oder obdachlosen Menschen Regelversorgungsstrukturen des Gesundheitssystems offen. Erfahrungen zeigen jedoch, dass ein erheblicher Teil das medizinische Versorgungsangebot gar nicht oder nur unzureichend in Anspruch nimmt. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Angst vor Arztbesuchen, schmerzhaften Behandlungen und Stigmatisierung, aber auch Unwissenheit in Bezug auf die Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen sowie die Priorisierung anderer Bedürfnisse, z.B. die Sicherstellung eines Schlafplatzes, hindern eine Inanspruchnahme. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes bis hin zur Chronifizierung von Erkrankungen ist häufig die Folge.

Kompetenzen der jungen Menschen aktivieren

Neben den dargestellten Gesundheitsrisiken gibt es aber auch Gesundheitsressourcen, auf die junge wohnungslose Menschen zurückgreifen können: Viele haben ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Selbstsicherheit – zwei Ressourcen, die durch externe Unterstützung noch verstärkt werden können. Durch ihre Erfahrungen im Umgang mit Menschen weisen viele junge Obdachlose eine erhöhte Sicherheit in sozialen Interaktionen auf und besitzen kommunikative Kompetenzen, mit denen sie auch ihre individuellen Bedürfnisse artikulieren können. Darüber hinaus fördert ein hohes Maß an Autonomiebestreben die Motivation für selbstständiges Handeln und hat eine große Auswirkung auf das Bewältigungsverhalten. Letztlich sind etliche Straßenjugendliche recht gut sozial und digital vernetzt und können hierüber auch an Hilfesysteme herangeführt werden. 

STREETWORK+ ist Gesundheitsförderung auf der Straße

In Anbetracht der skizzierten Gesundheitsrisiken stellt sich die Aufgabe, Straßenjugendliche beim kompetenten Umgang mit diesen Gefahren zu unterstützen und für ein gesundheitsgerechtes Verhalten zu befähigen und zu motivieren. Denn: Ein stabiler Gesundheitszustand erhöht die Aussicht auf eine zeitnahe Umsetzung tragfähiger Lebens- bzw. Zukunftsperspektiven massiv. 

Das Gesundheitsförderungs- und Präventionsprojekt STREETWORK+ der Off Road Kids Stiftung in Kooperation mit der BAHN-BKK verfolgt dieses Ziel anhand eines multimodalen Ansatzes. Grundpfeiler ist die Weiterbildung der Streetworker und Streetworkerinnen der Stiftung zu Gesundheitslotsen mithilfe qualitativ hochwertiger Fortbildungen zu ausgewählten Themenschwerpunkten. Auf diese Weise wird das sozialarbeiterische Handlungs- und Beratungsportfolio um gesundheitsorientierte Aufklärungsarbeit erweitert. Über diesen niedrigschwelligen, aufsuchenden Zugang wird die Zielgruppe hinsichtlich milieuspezifischer Gesundheitsrisiken informiert und sensibilisiert. Im Fokus steht dabei die individuelle Befähigung, das Thema Gesundheit in den eigenen Alltag einzubetten und eigenverantwortlich entsprechende Präventionsstrategien zu entwickeln und umzusetzen, z.B. eine konsequente Benutzung von Kondomen oder Hygieneartikeln.

In der Einzelfallberatung berücksichtigen die Streetworker und Streetworkerinnen grundsätzlich die persönlichen Ressourcen der jungen Menschen und achten auf eine größtmögliche Beteiligung. Handlungsweisend sind dabei immer die individuelle Bedürfnislage sowie die freiwillige Annahme der Angebote durch die Zielgruppe. Darüber werden die jungen Menschen zur Inanspruchnahme medizinischer Versorgungsstrukturen animiert und bei Bedarf zu ambulanten oder stationären Angeboten begleitet. Zudem verteilen die Streetworker und Streetworkerinnen Informationsmaterialien in leicht verständlicher Sprache sowie Präventionsartikel, z.B. Kondome, Verbandsmaterial, Desinfektionsmittel oder Zahnpflegesets an die Zielgruppe.

Die Erfahrungen aus dem seit 2017 ununterbrochen laufenden Präventionsprogramm zeigen, dass sich viele der jungen Menschen, die im Rahmen von STREETWORK+ beraten wurden, gesundheitsbewusster verhalten, etwa durch die Nutzung von Präventionsartikeln oder die Umsetzung von Hygienemaßnahmen. Mithilfe der Begleitungen zu Ärzten oder anderen Einrichtungen der Gesundheitsversorgung können Ängste, Unsicherheit und Vorbehalte abgebaut werden. Positive Erfahrungen mit medizinischen Versorgungsangeboten tragen außerdem dazu bei, dass diese perspektivisch eigenständig und regelmäßiger in Anspruch genommen werden.

STREETWORK+ wird an den Off Road Kids-Standorten Berlin, Dortmund, Frankfurt am Main, Hamburg und Köln angeboten und fließt zudem in die Online-Beratung bei sofahopper.de ein. Das Projekt wird von der BAHN-BKK auf Basis des Präventionsgesetzes gefördert.

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